Julia

lebt als Frau, Publizistin, parteilose Politikerin und
geliebte Mama mitten im Prenzlauer Berg, eigentlich Diplomkulturwissenschaftlerin, aber was ist das ?

ist engagiert als Vorsitzende des Landesverbandes Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin
für eine City' die nicht nur aus Betonfertigbauten besteht,

trägt meistens große Hüte, um sich zu schützen, was ihr nicht immer gelingt

fährt ein silberfarbenes Fahrrad, trägt rote Samtkleider und hat noch immer Sehnsucht nach meer und große Sympathie für alles,
was sich nicht im Netz des Mainstream verfängt

Sommer 1995

 

Wenn ich Dich jetzt neben mir wüßte, wäre ein Fremder neben mir,

der mir vielleicht mit seinen dummen Fragen auf den Geist ginge

und der mich stören und nerven würde mit seinen Händen.

So aber, da Du fern bist,

sitzt Du in Gedanken bei mir, die Beine lässig auf dem Tisch, ausruhend,

lächelnd, und ein Augenaufschlag,

der unbezahlbar ist...


 

Endlich wissen, was es heißt: Da wächst Gras drüber.

Ein Jahr lang mußt du warten,

sagte die Fee, bis zu dieser Sommernacht,

dann aber wird keiner mehr die Wunde sehen.

Als ob es nie einen Schmerz gegeben hätte,

auch der Würfel ist dann wieder da:

trau dich und du würfelst die Sechs,

einmal zweimal, dreimal,

auch gewinnen will gelernt sein,

es wird alles so sein,

wie du es dir erträumt,

keine andere Möglichkeit.

Aber ob du dir das gewünscht hast....


 

Sie war gestorben vor über einem Jahr, einfach weg und tot und gar nichts mehr,

rein in die Erde und Sonne unten und oben. Als nach über einem Jahr,

als ich da noch immer fast jeden Tag an sie dachte, das war schon sehr seltsam.

Das Seltsamste aber war der Gedanke, daß es vielleicht eine der gemeinsten Lügen ist,

wenn jemand erzählt, daß ein jeder Mensch ersetzbar sei.

Wie viele meiner Freunde

- von denen keiner annimmt, daß die Erde eine Scheibe ist-

gehen so wenig behutsam miteinander um, daß sie diese Lüge zu glauben scheinen.

Und nicht wenige waren dabei auf diesem Friedhof, Sonne oben und unten....


 

Meine Schuld

Zeit, die ich mir für dich nie nahm,

geht Hand in Hand mit Vorwürfen,

die ich dir nie gemacht,

und sie werfen Steine.

Liebe, von der ich nichts mehr weiß,

kniet in der Haustür, bis das brutale Schweigen

alle Nachbarn weckt.

Hoffnung, der ich nie eine Chance gab,

hat die Messer gezückt.

Sie zögern nicht mehr.

Sie werden mich kriegen,

noch bevor der Morgen graut

und du wirst mich nicht retten,

sondern zusehen aus der schützenden Entfernung

von mindestens dreihundert Kilometern.


 

F.

An manchen Tagen klappt es tatsächlich.

Ich kann - während ich auf Dich warte -

durch die Hochhäuser,

Stadtmauern und Autoschlangen hindurch suchend sehen,

bis ich Dich finde

- zwischen diesem und jenem Wagen -

die Finger unruhig klopfend,

die nächste Abfahrt noch Stunden entfernt,

und der Sendewahlknopf muß Dein Leid ertragen.

Ab und an funktioniert es:

ich rufe leise und Du lehnst Dich zurück.

Es kostet mich gar nicht allzu viel Kraft,

nur ein bißchen Einfühlung,

aber man kann sich schließlich nicht um alle kümmern!


 

Sie warnen ihn jeden Tag,

er möge es nicht versuchen.

Tausende Geschichten -

nach denen er niemand gefragt oder gebeten,

über Tod und Verrat -

gar von Mord ist die Rede,

doch Genaues weiß man nicht.

Er möge es bloß nicht versuchen,

die Dornenhecke zu durchdringen,

die Prinzessin sei dumm und häßlich und habe

- selbst wenn es ihm gelänge -

die Zeit verschlafen.

Er aber nimmt täglich sein Telefon und

spricht mit ihr, plant das Leben,

die Rettung und den Sieg

vorsichtig, behutsam und still

aber jeden Tag ein bißchen...


 

Weil sie dem Maulwurf einfach nicht zutrauten,

daß er fliegen kann,

gelang es ihm relativ lange Zeit,

sich des Nachts ganz unbemerkt

in die Lüfte zu erheben ...


 

Da der Kampf

so aussichtslos war,

ergab sich nach den Jahren endlich

jener schöne Augenblick,

da wir uns annäherten.

Gleichermaßen

achtsam und vorsichtig

hatte jeder den anderen

verfolgt, ergriffen und umschlossen.

Nunmehr schien

dem flüchtigen Beobachter,

daß dies die einzig denkbare Fügung

unseres merkwürdigen Schicksals sein konnte.


 

Das war ein seltsames Experiment:

wie er es ohne mühselige Arbeit schaffte,

daß alle die Lampen akzeptierten,

wie die meisten ohne größeren Protest hinnahmen,

daß es nunmehr nur noch dieses künstliche Licht geben würde -

in jeder Nacht UND an jedem Tag.

Und besonders merkwürdig war,

daß so viele von uns so sehr Teil des Vorgangs wurden,

daß sie bald schon keine Unterscheidung mehr machten.

Manche gaben an,

gar selbst eines der Lichter zu sein.


 

Es gab keine Geschichte,

nach knapp mal drei Wochen gab es keine Geschichte,

wer wollte so etwas verlangen!

Ich konnte mich nicht erinnern, wie wir uns begegneten,

wann wir uns getroffen- es gab eine Tasse Kaffee,

ein paar Telefonate und nichts mehr,

keine Geschenke, keine Vereinbarungen, nichts,

worauf man bauen konnte und was uns enttäuschen würde,

ich wußte nicht einmal Deine Telefonnummer und hatte erstmals versucht,

deinen Vornamen auszusprechen.

Das war anstrengend genug…


 

Am äußersten Ende des Weges,

als keiner mehr wußte,

wie weit wir uns schon entfernt hatten,

als die Lichter längst verloschen waren

und unausweichlich die Kälte nach uns griff,

da fragten wir uns langsam,

wer wohl es war, der uns voranging.

Und als es immer kälter wurde,

da kam es - hörbar, erst leise,

doch dann stärker,

dieses "Kreuzigt ihn!"

Keinem von uns wollte es nunmehr einfallen,

warum wir all die Zeit hinterhergeschritten waren:

gleichmäßig, geduldig und grundlos.


 

.....immer, wenn mir jemand sagt,

er wolle nur mein Bestes,

ODER: er liebe mich halt und das sei doch das Wichtigste

ODER: ich solle das alles nicht so schwer nehmen,

ich werde mich auch schon noch daran gewöhnen.

Immer dann befällt mich dieses unerklärbare Gefühl,

etwas mir Wichtiges werde mir genommen und ich bin sehr,

sehr vorsichtig...

IMMER !


 

Ein oder zwei Sonnenblumen halten sich nicht an die Wachstumsgrenze.

Über die Unregelmäßigkeiten kann man mit der Sichel hinweggleiten.

Die Spitzen fallen ab und werden zertreten.

So läuft das hier,sagt der Bauer und grinst.


 

Manchmal, wenn sie einfach nicht mehr konnte,

wenn die Musik in ihren Ohren dröhnend das Hirn zu sprengen drohte,

wenn das Maß der Zuneigung überlief,

wenn die Haut den ständigen Wechsel der Anspannung nicht mehr ertrug,

wenn er neben ihr keinen Schlaf finden konnte,

die Tage in unerklärlichem Tempo rasten und sie wieder nur einen Bruchteil

der Themen besprochen hatten,

wenn die Schreie der Lust für die Nachbarn unerträglich wurden,

dann konnte sie manchmal nicht anders,

dann zwängte sie ihn in den Mantel,

schob ihn zur Tür und verlangte mit äußerstem Nachdruck,

er möge ENDLICH Zigaretten holen.


 

Alle Angst habe ich gegen

Buntpapier getauscht -

ein Riesenberg in tausend Farben.

Und wenn ich jeden Morgen

Flieger daraus baue,

kann ich zusehen,

wie sie zu den Wolken steigen.